Interview mit Carmen Kübler
Fadenzeichnung (detail)
Carmen Kübler Porträt
Carmen Kübler ist eine Künstlerin, die nach ihren Ausflügen ins Objekthafte, immer wieder zur Zeichnung zurückkehrt. Die Linie ist Ursprung und Heimat ihrer künstlerischen Arbeit. Neben dem klassischen Stift auf Papier hinterlässt sie in ihren aktuellen Arbeiten graphische Spuren hauptsächlich als gestickte Linien. Zeichnungen setzt sie auch mit Klebebändern direkt auf die Wand.
Ihre Trägermaterialien sind vielfältig und neben verschiedenen Papieren kommen Folien, Stoffe oder Filze zum Einsatz. Sie interessiert sich besonders für die Beschaffenheit des Materials, deren Transparenz oder Dichte. Diese stellt sie gerne gegenüber und kombiniert sie. Dadurch entstehen neue Gebilde und Beziehungen auf der Fläche und im Raum. Gitta Bertram hat sie in der Ateliergemeinschaft 32 in Engstingen besucht und mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.
Wie bist du denn zur Kunst gekommen?
In unserer Familie hat bildnerische Kunst überhaupt keine Rolle gespielt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mit meinen Eltern jemals im Museum war. Was ich schon früh mitbekommen habe, war die Welt des Theaters. Mit meiner Mutter und meiner Patentante war ich im Schauspiel, in der Operette, in der Oper und das hat mich fasziniert. Diese Erlebnisse habe ich schon früh ganz stark mit Freiheit verbunden.
Und dann hatte ich als Zehnjährige die Möglichkeit im Stadttheater bei der Oper La Bohème mitzusingen. Das war eine tolle Erfahrung für mich. Zuerst in einer kleinen Gruppe mit anderen Kindern zu proben, dann mit dem großen Chor zusammen zu singen und letztlich auch gemeinsam mit dem ganzen Orchester und Kostüm auf der Bühne zu sein. Auch der Blick hinter die Kulissen war spannend. Diese neue Welt und die Erfahrungen dort haben sich bei mir mit dem Gefühl von Freiheit verbunden.
Mit 19 Jahren habe ich dann bei einer engagierten Lehrerin einen sehr guten Kunstunterricht genossen. Sie hat einen tollen Rahmen geboten, um wieder ins Spielen zu kommen. In ein Spiel mit Material, bei dem es zunächst gar nicht um ein Ergebnis ging, sondern der Prozess im Vordergrund war. Das hieß, auch Dinge wieder verwerfen zu können, neugierig zu sein, Material zu erkunden, zum Beispiel die Fließeigenschaften von Farben. Das waren für mich wertvolle Erfahrungen. Zum ersten Mal habe ich gemerkt, dass Gestaltung etwas sehr Persönliches sein kann und ich mich damit ausdrücken kann.
Wer oder was hat dich dann zur Zeichnung geführt?
Ein weiterer Schlüsselmoment war ein Zeichenprojekt, angeleitet von zwei Grafikern. Dort habe ich expressives Zeichnen kennengelernt. Da ging es zunächst weniger darum, etwas darzustellen, sondern darum, die Linie als Ausdrucksspur zu entdecken und das Zeichnen als ganzkörperliche Erfahrung wahrzunehmen. Also nicht nur die Hand, die den Stift hält zeichnet, sondern der ganze Körper. Die beiden hatten oft gesagt: “Es gibt viel zu verlernen.” Das war und ist für mich zentral, also zu merken, dass es ganz stark darum geht, im Moment zu sein, Dinge zuzulassen und die Linien laufen zu lassen. Von diesen Erfahrungen profitiere ich immer noch. Ich bin vom Ursprung her Zeichnerin, auch wenn ich jetzt Ausflüge ins Objekthafte mache, ist das Zeichnen was sehr heimatliches für mich.
Auch während meines Kunsttherapiestudiums in Nürtingen hatte ich dann Dozentinnen, die für mich Türöffnerinnen waren. Diese Zeit war für mich sehr prägend und hat meine Wahrnehmung sehr verändert. Für mich ist die Kunst in der kunsttherapeutischen Praxis etwas Wesentliches, die Grundlage. Seit meines Studiums habe ich mir meine eigene künstlerische Arbeit bewahrt.
Wie gut gelingt Dir das (ich frage für eine Freundin)?
Es ist schon eine Herausforderung. Das Studium schafft einen Rahmen, und es gibt in dieser Zeit viele andere um einen herum, die künstlerisch arbeiten. So ergeben sich viele einfache Möglichkeiten, sich auszutauschen. Und dann ist man plötzlich allein und dazu noch berufstätig, was natürlich Energie und Zeit fordert. Sich da einen Rahmen zu geben und die Disziplin zu haben, dranzubleiben und sich neue Möglichkeiten des Austauschs zu suchen, das ist eben die Herausforderung.
Was hat Dir dabei geholfen?
Ich glaube, dass künstlerisches Arbeiten für mich einfach ein großes Bedürfnis ist und eine Wichtigkeit hat und ich ihr deshalb immer wieder Raum gegeben habe. Was mir auch geholfen hat, ist dass ich nach meinem Studium 5 Jahre an der Freien Kunsthochschule in Nürtingen ein Gaststudium gemacht habe. Das heißt, ich war berufstätig und habe einen Tag die Woche an der Hochschule verbracht und dort keramisch gearbeitet. Das hat mir einen äußeren Rahmen gegeben. Ich hatte einen Arbeitsplatz, Austausch und Input.
Aber es gibt immer wieder Phasen, die herausfordernd sind und in denen ich mich frage, wie es weitergehen soll. Zum Beispiel wenn eine Ausstellung oder ein Projekt abgeschlossen sind.
Und einen Raum braucht man auch...
Ja, der Raum ist sehr wichtig. Ein Atelier zu haben, in dem man sich ausbreiten kann und Dinge auch mal liegen lassen kann, in dem ich ungestört bin. Manchmal komme ich nur zum Lesen und Schreiben, um Notizen zu machen. Das ist aber etwas grundsätzlich anderes, als wenn ich zu Hause im Wohnzimmer sitzen würde. Ich bin jetzt zehn Jahre hier im Atelier 32 und ich mag meinen Raum sehr gerne.
Magst Du mir noch etwas über diesen Ort hier verraten?
Also das Atelier 32 gibt es tatsächlich schon 25 Jahre. Wir sind ein Verein für Kunst und Kultur, in dem jede:r so seine oder ihre Aufgaben hat. Das Gebäude war mal eine Kaserne und auch eine Heilstätte für Lungenkranke und seit 2000 ist es ein Ort für Kunst. Wir sind hier momentan 7 Künstler:innen, eine Marionettenbühne und ein Kunsthistoriker. Ein Atelier ist derzeit frei. Ein großer Saal und ein Außenatelier werden temporär vermietet. Gemeinsam machen wir hier Ausstellungen und einmal im Jahr einen Tag der offenen Ateliers. Da gibt es in der Regel eine Ausstellung eines Gastkünstlers oder einer Gastkünstlerin und alle öffnen ihre Ateliers und die Puppenbühne macht eine Aufführung. In diesem Jahr wird der Tag der Offenen Ateliers am 21.09.25 von 11-17 Uhr stattfinden. Für mich ist das ein wichtiger Tag, da meine Arbeit ja häufig erst in der Präsentation entsteht.
Wie meinst Du das?
Also in meiner Arbeit passiert vor einer Präsentation Wesentliches, weil es darum geht, wie ich die Einzelarbeiten kombiniere. Ich arbeite häufig mit Schichtungen. Das können transparente Zeichnungen auf ganz unterschiedlichen Trägermaterialien sein oder auch Objekte. Für eine Präsentation oder eine Ausstellung kombiniere ich die Objekte und Zeichnungen in einer für mich stimmigen Komposition. Ich “schichte” sie in der Fläche und im Raum.
Arbeit an einer Ausstellung, 2025
Das heißt, umso mehr passiert dann ja erst beim Aufbau, vorher weißt Du gar nicht konkret, wie es aussehen wird.
In der Regel schon, weil einfach der Raum eine ganz große Bedeutung hat. Aber vor jeder Ausstellung gibt es eine lange Phase, in der ich Dinge miteinander kombiniere. Ich entwickle sehr gerne Arbeiten auf ein Thema hin oder beziehe sie auf einen Ort. Ich habe bspw. mal in einer Klosterkirche ausstellen können. In der Vorbereitung habe ich mich dann mit dem Ort beschäftigt, mit seiner Geschichte, mit den Klarissen, die dort viele Jahre gelebt haben, mit deren Ordensregeln und dem Sprechgitter, das die Kontaktstelle zwischen Innen und Aussen gebildet hat. Und inspiriert durch diese Auseinandersetzung sind dann meine Arbeiten entstanden.
Meine letzte Ausstellung fand in einem alten Schulhaus statt. Ein Ort, der 150 Jahre als Schule genutzt worden ist. Also auch ne Geschichte hat, der 2 Weltkriege erlebt hat und auch Lazarett war zwischendurch. Heute erinnert nur noch wenig an eine ehemalige Schule, weil fast alles neu renoviert ist. Letztendlich hab ich dann mit Fotos aus der Renovierungszeit gearbeitet. Die Bilder, auf denen man die alten Balkenkonstruktionen der Räume gesehen hat, als die Räume noch ganz roh waren, fand ich interessant. Diese Zwischenstadien habe ich dann überstickt und mit anderen Materialien überarbeitet. Auch die Elemente Schrift und Zeilen habe ich einfließen lassen.
0.T., überarbeitete Fotografie, Papier, Stoff, 2024
Und diese Arbeiten nimmst Du dann auch wieder in neuen Ausstellungen und Kontexten auf?
Ja, die Schichtungen lösen sich nach der Ausstellung wieder in ihre Einzelteile auf. So dass die einzelnen Elemente in einer neuen Präsentation etwas gänzlich anderes erzählen können. Über die Jahre künstlerischer Tätigkeit entstehen natürlich sehr viele Zeichnungen und Objekte und es ist für mich inzwischen sehr stimmig, Dinge immer wieder auch zu überarbeiten oder in neue Kontexte zu bringen, wo sie wieder neues erzählen. Meine Kunst ist somit eine Momentaufnahme und bleibt dadurch auch im Fluss.
Ein wichtiger Prozess in meiner Arbeit ist es, immer wieder zu ordnen und zu schauen, was ich schon habe. Es gehört dazu, die Dinge immer wieder in die Hand zu nehmen, sie neu zu kombinieren und wieder eine neue Struktur zu schaffen.
Du hast am Anfang des Gesprächs die Freiheit erwähnt, die dich schon als Kind in der Kunst fasziniert hat. Sich nicht festzulegen und die eigenen Sachen immer wieder zu bearbeiten hat ja auch viel mit Freiheit zu tun.
Ja in jedem Fall. Bei jeder Präsentation gibt es jedoch eine Festlegung, die dann wieder aufgelöst wird. Das hat dann auch viel mit Abschied zu tun, wenn ich eine Ausstellung abhänge und ich die Elemente wieder in ihre Einzelteile zerlege.
Welche Orte für Kunst kannst Du denn empfehlen?
Ich finde zum Beispiel das Living Museum in Buttenhausen wichtig, weil das ein Ort ist, der für Inklusion steht. Dort können Menschen mit und ohne Behinderung in einem großzügigen Atelier künstlerisch arbeiten und Kunstassistenz bekommen. Es finden regelmäßig Ausstellungen statt. Neben bildnerischem Arbeiten, gibt es auch eine Lyrikwerkstatt und Raum zum Theaterspielen. Ich arbeite selbst viel mit Menschen mit geistiger Behinderung und habe deshalb auch eine Verbindung zu diesem Ort. Ich finde es immer lohnenswert, dort zu sein.
Und ein völlig anderer „Ort“, der mir wichtig ist, ist die Biennale in Venedig. Dort bin ich auch regelmäßig. Kunst in Hülle und Fülle in einem sehr ungewöhnlichen Ambiente. Venedig selbst ist ja schon wie ein Museum und dort immer wieder in die Kunst einzutauchen ist sehr nährend.
Vielen Dank liebe Carmen für die Einladung in Dein Atelier und das tolle Gespräch über Deine Arbeit.
Zu Camens Ausstellung im LABORfenster gibt es noch einen eigenen Post.